Dietrich Bonhoeffer

geboren am 4. Februar 1906 in Breslau kurz vor seiner Zwillingsschwester Sabine; gestorben am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg, war ein deutscher evangelisch-lutherischer Glaubensgelehrter, markanter Vertreter der Bekennenden Kirche und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.

Mit 24 Jahren bereits lehrberechtigt, wurde Bonhoeffer nach Auslandsaufenthalten in Spanien und New York Privatdozent für Evangelische Glaubenslehre in Berlin. Daneben war er Jugendreferent und Mitglied des Ökumenischen Rates. Schon kurz nach Adolf Hitlers Machtergreifung nahm er deutlich Stellung gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung und setzte sich früh im Kirchenkampf gegen die Deutschen Christen und den Arierparagraphen ein. Ab 1935 war er Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Zingst und danach in Finkenwalde (Hinterpommern), das bis 1940 auch widerrechtlich weitergeführt wurde. Nach der Rückkehr aus Amerika 1939 schloss er sich dem aktiven Widerstand um Wilhelm Franz Canaris an. 1940 erhielt er Redeverbot und 1941 Schreibverbot. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und nach ca. zwei Jahren als einer der letzten mit dem 20. Juli 1944 in Verbindung gebrachten Gegner auf persönlichen Befehl Hitlers hingerichtet.

Bonhoeffer war ein sehr eigenständiger Glaubensgelehrter, der die Bedeutung der Bergpredigt und Nachfolge Jesu besonders betonte und persönlich vorlebte. In seinen Gefängnisbriefen entwickelte er Vorstellungen für eine künftige Ökumene an der Seite der Armen und Gedanken zu einer nichtreligiösen Auslegung von Bibel und Gottesdienst.

Glaubensbekenntnis

Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.

Dietrich Bonhoeffer

Geschrieben 1943 unter dem Titel: "Nach zehn Jahren". Zehn Jahre nach der Machtergreifung Adolf Hitlers, zehn Jahre nach dem Beginn der Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirche um den rechten Weg. Auf diesem Hintergrund klingen manche der Sätze Bonhoeffers in diesem Bekenntnis plötzlich ganz anders, vielleicht sogar anstößig.

Zitate

Zum Menschsein:

"Wir müssen lernen, die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen, als auf das, was sie erleiden, anzusehen."
(aus: "Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943", im Gefängnis Berlin-Tegel)

"Aber letzten Endes faßt sich, jedenfalls für mich, die Welt doch zusammen in ein paar Menschen, die man sehen und mit denen man zusammen sein möchte."
(Brief an seine Eltern, Gefängnis Berlin-Tegel am 13.10.1943)

"Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann …, einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden - …, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, …"
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 21.7.1944)

"Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muß ich immerfort denken, an Echtheit, an Leben, an Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, im Zug nach München am 25.6.1942)

"Man muß sich durch die kleinen Gedanken, die einen ärgern, immer wieder hindurchfinden zu den großen Gedanken, die einen stärken.

Der Häftling:

"Der Gefangene neigt wohl überhaupt dazu, den Mangel an Wärme und Gemüt, den er in seiner Umgebung findet, bei sich selbst durch eine Übersteigerung des Gefühlsmäßigen zu ersetzen und er reagiert wohl auch leicht überstark auf alles Persönlich-Gefühlsmäßige. Es ist dann gut, sich selbst immer wieder einmal durch eine kalte Dusche Nüchternheit und Frohsinn zur Ordnung zu rufen, sonst gerät man aus dem Gleichgewicht."
(Brief an seine Eltern, Gefängnis Berlin-Tegel am 24.6.1943)

"So eine Gefängniszelle ist übrigens ein ganz guter Vergleich für die Adventssituation; man wartet, hofft, tut dies und jenes – letzten Endes Nebensächliches – die Tür ist verschlossen und kann nur von außen geöffnet werden."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 21.11.1943)

"…, daß Gott sich gerade dorthin wendet, wo die Menschen sich abzuwenden pflegen, daß Christus im Stall geboren wurde, weil er sonst keinen Raum in der Herberge fand, - das begreift ein Gefangener besser als ein anderer und das ist für ihn wirklich frohe Botschaft, …"
(Brief an seine Eltern, Gefängnis Berlin-Tegel am 17.12.1943)

"Die [Herrnhuter] Losungen sind meine tägliche Freude."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 18.1.1944)

Wirklicher Glaube:

"Als wir gestern Abend wieder auf dem Fußboden lagen und einer vernehmlich: 'ach Gott, ach Gott!' rief – sonst ein sehr leichtfertiger Geselle – brachte ich es nicht über mich, ihn irgendwie christlich zu ermutigen und zu trösten, sondern ich weiß, daß ich nach der Uhr sah und nur sagte: es dauert höchstens noch 10 Minuten."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 29. und 30.1.1944 nach einem Bombenangriff)

"Es ist sicher ein großer Unterschied, ob man einen Monat oder ein Jahr im Gefängnis ist, man hat dann nicht nur einen interessanten oder starken Eindruck, sondern einen ganz großen neuen Lebensbereich in sich aufgenommen."
(Brief an seine Eltern, Gefängnis Berlin-Tegel am 26.4.1944)

Leid und Trauer:

"Zunächst: es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und man soll das auch gar nicht versuchen; man muß es einfach aushalten und durchhalten; das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein großer Trost; denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie gar nicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt, und hilft uns dadurch, unsere echte Gemeinschaft miteinander – wenn auch unter Schmerzen – zu bewahren. Ferner: Je schöner und voller die Erinnerungen, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht mehr einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich."
(Brief an Renate und Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel an Heiligabend 1943)

"…, daß mich die grauenhaften Eindrücke oft bis in die Nacht verfolgen und daß ich sie nur durch Aufsagen unzähliger Liedverse verwinden kann und daß dann das Aufwachen manchmal mit einem Seufzer statt mit einem Lob Gottes beginnt."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 15.12.1943)

"Ich muß die Gewißheit haben können, in Gottes Hand und nicht in Menschenhänden zu sein."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 22.12.1943)

Widerstand:

"Die Grenzen zwischen Widerstand und Ergebung sind also grundsätzlich nicht zu bestimmen; aber es muß beides da sein und beides mit Entschlossenheit ergriffen werden. Der Glaube fordert dieses bewegliche lebendige Handeln. Nur so können wir die jeweilige gegenwärtige Lage durchhalten und fruchtbar machen."
(Brief an seinem Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 21.2.1944)

"Gott führe uns freundlich durch diese Zeiten; aber vor allem führe er uns zu sich."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 21.7.1944; ein Tag nach nach dem gescheiterten Putsch auf Adolf Hitler)

Zur Kirche:

"Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein. Auch diejenigen, die sich ehrlich als 'religiös' bezeichnen, üben das in keiner Weise aus; sie meinen vermutlich mit 'religiös' etwas ganz anderes."
(Brief an seinen Freund Eberhard Bethge, Gefängnis Berlin-Tegel am 30.4.1944)

Dessen Plan, den Deutschen Christen beizutreten, um Überzeugungsarbeit von innen zu leisten, lehnt Bonhoeffer strikt ab: "Wenn man in einen falschen Zug einsteigt, nützt es nichts, wenn man im Gang entgegen der Fahrtrichtung läuft."
(Aus dem Gespräch mit einem Weggefährten)

"Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist."
(aus: "Entwurf einer Arbeit", Gefängnis Berlin-Tegel im August 1944).

"Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören."
(aus: "Die Kirche vor der Judenfrage", Vortrag im April 1933 nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933 und der Einführung des "Arierparagraphen" für den staatlichen Bereich am 7.4.1933).

"Es muß endlich mit der glaubenswissenschaftlich begründeten Zurückhaltung gegenüber dem Tun des Staates gebrochen werden – es ist ja doch alles nur Angst. 'Tu Deinen Mund auf für die Stummen' - wer weiß denn das heute noch in der Kirche, daß dies die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist?"
(Auszug aus einem Brief, November 1934)

Berühmte Zitate:

"Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil."
(aus: "Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft", Teil III; Referat am 22.4.1936, dann Aufsatz für die "Evangelische Theologie" im Juni 1936)

Die Kirche "wird die Bedeutung des menschlichen 'Vorbildes' (das in der Menschheit Jesu seinen Ursprung hat und bei Paulus so wichtig ist!) nicht unterschätzen dürfen; nicht durch Begriffe, sondern durch 'Vorbild' bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft."
(aus: "Entwurf einer Arbeit", Gefängnis Berlin-Tegel im August 1944)

"Der Glaubende kann kein Schwarzmaler sein und kann kein Weißmaler sein. Beides ist Trugschluß. Der Glaubende sieht die Wirklichkeit nicht in einem bestimmten Licht, sondern er sie, wie sie ist und glaubt gegen alles und über alles, was er sieht, allein an Gott und seine Macht."
(aus: Ansprache in Gland am 29.8.1932; Internationale Jugendkonferenz von Life and Work und Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen)

"Lebendiges Bekenntnis heißt nicht starr Lehrsatz gegen Lehrsatz stellen, sondern es heißt Bekenntnis, bei dem es ganz wirklich um Leben und Tod geht."
(aus: "Die Bekennende Kirche und die Ökumene" im August 1935)

"Der Feind ist im Neuen Testament immer der, der mir feindlich ist. Mit einem, dem der Jünger Feind sein könnte, rechnet Jesus gar nicht."
(aus: "Nachfolge")

"Sich nicht für klug halten, sich herunterhalten zu den Niedrigen, heißt ohne leere Rede und in aller Nüchternheit: sich selbst für den größten Sünder halten."
(aus: "Gemeinsames Leben")

"Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."
(Ausspruch Bonhoeffers bei den Predigerseminaren, die er seit 1935 in Pommern für die "Bekennende Kirche" hielt)

"Das Freisein von etwas erfährt seine Erfüllung erst in dem Freisein für etwas. Freisein allein um des Freiseins willen aber führt zur Zügellosikeit."

"Wie wird Friede? Durch ein Gebilde von politischen Verträgen? Durch Wertanlagen überstaatlichen Vermögens in den verschiedenen Ländern? D.h. durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dies alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier überall Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und lässt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg (...)
(Friedenspredigt in Fanö, 28. August 1934)

Wertgefühl

Wenn wir nicht den Mut haben, wieder ein echtes Gefühl für menschliche
Abstände aufzurichten und darum eigens zu kämpfen, dann kommen wir in einer Zügellosigkeit menschlicher Werte um.

  Die Frechheit, die ihr Wesen in der Missachtung aller menschlichen Abstände hat, ist ebensosehr die Eigenart des Pöbels, wie die innere Unsicherheit, das Feilschen und Buhlen um die Gunst des Frechen, das Sichgemeinmachen mit dem Pöbel der Weg zur eigenen Verpöbelung ist. Wenn man nicht mehr weiß, was man sich und anderen schuldig ist, wo das Gefühl für menschlichen Wert und die Kraft, Abstand zu halten, erlischt, dort ist das Wirrsal vor der Tür. Wo man um eigennütziger Bequemlichkeiten willen duldet, dass die Frechheit einem zu nahe tritt, dort hat man sich bereits selbst aufgegeben, dort hat man die Flut des Wirrsals an der Stelle des Dammes, an die man gestellt war, durchbrechen lassen und sich schuldig gemacht am Ganzen.

  In anderen Zeiten mag es die Sache des Christentums gewesen sein, von der Gleichheit des Menschen Zeugnis zu geben; heute wird gerade das Christentum für die Achtung menschlicher Abstände und menschlichen Wertes leidenschaftlich einzutreten haben. Die Missdeutung, als handele man in eigener Sache, die billige Verdächtigung ungeselliger Gesinnung, muss entschlossen in Kauf genommen werden. Sie sind die bleibenden Vorwürfe des Pöbels gegen die Ordnung. Wer hier weich und unsicher wird, begreift nicht, worum es geht, ja vermutlich treffen ihn die Vorwürfe sogar mit Recht.

Wir stehen mitten in dem Vorangang der Verpöbelung in allen Gesellschaftsschichten und zugleich in der Geburtsstunde einer neuen adligen Haltung, die einen Kreis von Menschen aus allen bisherigen Gesellschaftsschichten verbindet. Adel entsteht und besteht durch Opfer, durch Mut und durch ein klares Wissen um das, was man sich selbst und was man anderen schuldig ist, durch die selbstverständliche Forderung der Achtung, die einem zukommt, wie durch ein ebenso selbstverständliches Wahren der Achtung nach oben wie nach unten. Es geht auf der ganzen Linie um das Wiederfinden verschütteter Werterlebnisse, um eine Ordnung auf Grund von Werten.

  Wert ist der stärkste Feind jeder Art von Vermassung. Gesellschaftlich bedeutet das den Verzicht auf die Jagd nach höheren Stellen, den Bruch mit allem Starkult, den freien Blick nach oben und unten, besonders was die Wahl des engeren Freundeskreises angeht, die Freude am verborgenen Leben wie den Mut zum öffentlichen Leben. Kulturell bedeutet das Werterlebnis die Rückkehr von Zeitung und Radio zum Buch, von der Hast zur Muße und Stille, von der Zerstreuung zur Sammlung, von der Aufregung zur Besinnung, vom Vollkommenheitsschwarm zur Kunst, von der Vornehmtuerei zur Bescheidenheit, von der Maßlosigkeit zum Maß. Mengen machen einander den Raum streitig. Werte ergänzen einander.

Gedichte

Wer bin ich?
Gedicht aus: Widerstand und Ergebung

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig, lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und zu leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Von guten Mächten treu und still umgeben
Vom 19. Dezember 1944 datiert ein Brief, dessen Beigabe, gedacht als „Weihnachtsgruß für Dich (Maria von Wedemeyer) und die Eltern und Geschwister“, als Kirchenliedtext berühmt werden sollte (es dürfte rund 50 Vertonungen dieses Textes geben).

„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr;

noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann woll'n wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz.

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.“

deutschtum.net
Zusammengestellt von
Ronny Herbst